Das eine oder das andere

Sara Goldfarb, gespielt von Ellen Burstyn, in Requiem for a Dream 

© Screenshot aus Requiem for a Dream (2000) / Artisan Entertainment. Verwendet als Zitat nach § 51 UrhG.


Nein, so wird das nichts. Seit 5:55 liege ich wach im Bett. Oder besser gesagt irgendwo zwischen einem Wachzustand und einem emotional-komatösem Halbtod. Ich mache mir was vor. Nicht, dass ich noch schlafe, das bilde ich mir nicht ein. Ich tue so, als ginge es mir besser, als es tatsächlich der Fall ist.Die Realität ist düster wie der Himmel heute Morgen. Ich habe wieder Schmerzen: in den Beinen, an anderen unbestimmten Stellen im Körper - sie kommen und gehen. Morgens in den Fußsohlen, nicht erst seit heute. Ich habe mein Problem mit den Zähnen gelöst. Dafür gibt's wieder die anderen Schmerzen. Das eine oder das andere. Mit einem muss ich leben - das ist der Preis.

Für die, die nicht folgen können. Einfache Mathematik!

Die Lorviqua ist mein Krebsmedikament. Die ist gesetzt, wie die beste Spielerin eines Fußballteams. Ohne sie bin ich tot. Also muss ich, so sehr ich sie liebe, auch mit ihren Charakterschwächen - ihren Nebenwirkungen - leben. Manche zeigt sie von Anfang an, manche erst nach und nach. Manche sind halbwegs aushaltbar und für manche brauche ich zusätzliche Hilfe. Die wichtigste Hilfe brauche ich, um unser Kind zu beruhigen: das Cholesterin, das vor Freude durch die Decke schießt, wenn es Lorviqua sieht. Nicht mit Ritalin, wie man's gerne mit Kindern macht, die in der Schule nicht ruhig dasitzen, sondern mit einem Statin.

1. Rosuvastatin. Macht, dass es überall weh tut.
2. Pravastatin. Macht, dass mir gefühlt die Zähne ausfallen.

Das zweite ist schlimmer - ich fühle mich wie Sara Goldfarb, gespielt von Ellen Burstyn. Die Frau, die abnehmen will, und sich den ganzen Tag mit Methamphetaminen vollpumpt.

Hinzu kommt das Wasser, das sich in meinem Körper ablagert - die Beine schwellen an, muss sie hochlegen, Wassertabletten dagegen nehmen. Von denen muss ich ständig pissen. Titten bleiben mir als Geschenk zurück.

Das sind nur die körperlichen Beschwerden, die mich runterziehen. Dann muss ich weinen, mehr als je zuvor. Jeden Tag, überall. Vorgestern, als ich vor der AGB (Bibliothek) saß, auf der Mauer. Ich war überwältigt vom ersten Schluck Bier. Nach zwanzig Tagen Abstinenz. Ich habe geweint, weil es so gut geschmeckt hat. Ich habe geweint, weil alles zu viel für mich ist. Ich habe geweint, weil ich immer allein bin, immer und überall in diesem fucking Kampf ums Überleben. Selbst wenn andere dabei sind, kämpft man allein. Sounds fucking pathetic.

Als ich dann mit dem Rad nach Hause fuhr, war mir ganz mulmig zumute. Ich dachte, ich bekomme einen Herzinfarkt. Ich denke, ich war betrunken. Aber so habe ich mich noch nie gefühlt, in fünfzig Jahren nicht. Der Alkohol und die Medis, die vertragen sich nicht wirklich. Die Onkologin meinte, es sei okay. Oh boy, war das ein stranger Rausch, auf dem Rad im Straßenverkehr.

Gestern weinte ich in der U-Bahn, einfach so. Ich war auf dem Weg zu meiner ersten Therapiesitzung, Psychotherapie meine ich. Das tut gut, dachte ich. Aber dann fragte ich mich, im Nachhinein, wie die gute Frau mir helfen soll. Es ist ja keine Therapie im klassischen Sinn, in der man darauf hinarbeitet, dass man besser durchs Leben kommt, indem man sich selbst verstehen lernt und an seinen Schwächen arbeitet oder wenigstens mit ihnen umzugehen lernt. Wenn man unheilbaren Krebs hat, dann geht es in der Therapie darum, wie man damit zurechtkommt, dass man stirbt. Und den Tod, der auf einen zukommt, am besten akzeptiert und währenddessen das verbliebene Leben noch "genießen" soll. Absurde Vorstellung, oder?

Welcome to my life.

Und noch ein bisschen Blasphemie zum Karfreitag - fuck christianity! 

Jesus Mancini

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