CT, Accabadora, Zolpidem
Entschuldigt bitte, dass ich mich solange nicht gemeldet habe. Ich weiß, dass mein Blog für einige bedeutet, dass ich noch am Leben bin. Ziehe ich mich für ein paar Tage zurück, ist das noch kein Grund zur Panik. Alles beim Alten, mehr oder weniger. Mehr - das Geschriebene, ich mache langsame Fortschritte beim Roman. Weniger - meine Zähne nehmen rasant ab. Das Zähneknirschen wird von Mal zu Mal schlimmer. Doch dazu später mehr.
Was das Krebsgeschwür angeht, so war ich gestern beim CT. Oder präziser ausgedrückt in der Radiologie, um mich von einem hoch entwickelten Computer tomographieren zu lassen. Für alle hier, die das selbst schon durchgemacht haben, ist das wahrscheinlich nichts Neues. Ich möchte euch dennoch meine Erfahrung schildern, immerhin ist solch ein Erlebnis nicht alltäglich und wird individuell empfunden. Hier nun, was mir passiert ist.
Bei der Anmeldung sollte ich etwas ausfüllen, bekam aber nicht mehr den klassischen Anamnesebogen aus Papier, sondern ein Tablet. Die Fragen unterschieden sich nur in wenigen Punkten von denen anderer Arztpraxen, wie z.B. ob ich Hämorrhoiden hätte oder allergisch gegen Kontrastmittel sei.
Dann setzte man mich ins Wartezimmer, gab mir einen Plastikbecher und eine Kanne mit einem Liter klarer Flüssigkeit, die ich langsam innerhalb einer Stunde trinken sollte. Man betonte ausdrücklich, es sei kein Kontrastmittel, sondern etwas anderes. Was genau ich da trank, wurde mir bis zum Schluss vorenthalten. Egal, runter mit dem Zeug. Ich trank, bis mir der Bauch platzte.
Währenddessen las ich wie gewohnt mein Buch. Zurzeit ist es ein italienisches, was mich gelegentlich erfreut, aber meistens an den Rand des Wahnsinns treibt. Nicht, weil es schlecht wäre - mitnichten. Es ist nur in einem Italienisch verfasst, dessen ich nicht gewachsen bin. Es ist voller mir unbekanntem Vokabular. Die Autorin macht zudem häufig Gebrauch von klassischen Redewendungen, die mir nicht geläufig sind, schreibt alles in allem in einem sehr eloquenten Stil. Dass sie auch sardische Ausdrücke benutzt und ihre Charaktere in wörtlicher Rede Sardisch sprechen lässt, ist das kleinere Problem. Es ist mein generelles Hochitalienisch, das mangelhaft ist. Leider, denn es kotzt mich an, nervt mich zutode. Ich schäme mich für meine Unzulänglichkeiten, kann aber nichts weiter dagegen tun, als mich mit dem klassischen Online-Wörterbuch durchquälen.
Ich will euch nicht länger auf die Folter spannen. Das Buch heißt Accabadora von Michela Murgia, einer sardischen Schriftstellerin. Es spielt in den 1950er Jahren im fiktiven sardischen Dorf Soreni. Im Zentrum steht die Beziehung zwischen der jungen Maria und ihrer Ziehmutter Bonaria Urrai, die als traditionelle Sterbehelferin tätig ist. Mehr verrate ich nicht.
Auffallend ist, dass Michela Murgia viel zu früh starb. Leider. Mit gerade mal 51, eine erschreckende Parallele. Reiner Zufall?!
Sie wurde am 3. Juni 1972 in Cabras, Sardinien, geboren, erhielt ihre Diagnose im Frühjahr 2023 und verstarb nur wenige Monate später, am 10. August 2023. Der Krebs war bereits im Endstadium, als er entdeckt wurde.
Ich wurde am 3. Juli 1974 geboren, stamme von Apuliern aus Putignano ab und habe ein metastasiertes Lungenkarzinom im Endstadium.
Kann man da von Parallelen sprechen?
Ein tragischer, fast schicksalhafter Gleichklang, mehr nicht. Hokuspokus. Ich lebe noch und schreibe den Roman zu Ende.
Zurück zum CT. Pünktlich nach einer Stunde brachte man mich
hinein, legte mich auf das einzuschiebende Bett und versuchte, mir
einen Zugang zu legen. Ihr müsst wissen: Ich habe eigentlich
traumhafte Venen, über die sich das medizinische Fachpersonal immer
ausgesprochen freut. Noch nie ist jemand danebengegangen. Selbst die
Auszubildende durfte sich schon erfolgreich an mir versuchen.
Dem
Horst von der Radiologie – Robert heißt er eigentlich – ist es
nicht gelungen. Wieso? Die Kanülen sind wohl dicker, um die Scheiße
besser reinzupumpen.
Jedenfalls musste der Arzt mit einer
Tätowierung hinterm Ohr à la Phil Foden ran. Der hat mir die
Spritze ins Handgelenk gestochen, direkt in eine pulsierende Ader.
Ratzfatz war das durch.
Die Radiologieassistentin wollte mir
dann noch an die Wäsche, zog mir die Hose ein Stück runter. Warum
ich das nicht eine Minute vorher selbst machen durfte, leuchtet mir
nur bedingt ein. Aber gut.
Arme hochlegen, in den Achseln Schweiß. Los geht’s. Die Bahre fährt langsam in die Röhre, eine automatisierte Stimme spricht mit mir: „Einatmen. Luft anhalten.“
Fünf bis zehn Sekunden später: „Weiteratmen.“
Ich komme ans Ende der Röhre, der Kopf ist draußen. Es geht ja nur um Brust und Bauch.
Dann das Zeug. Kontrastmittel fließt heiß durch die Adern – unangenehmes Gefühl. Erst leichte Panik wegen der plötzlichen Hitze. Man merkt sofort, dass da irgendeine Scheiße durch einen durchfließt, die da nicht hingehört.
Dann denkt man, man pisst sich ein, wenn das Zeug den unteren Bereich des Körpers durchläuft.
Parallel zur Sensation wieder die Stimme: „Einatmen. Und halten.“
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.
„Weiteratmen.“
Nochmal.
Dann etwas Ruhe. Das Gefühl der Hitze ist längst verschwunden, nur ein metallischer Geschmack im Mund bleibt zurück.
Die Assistentin sagt plötzlich – viel zu früh, nach all der Aufregung –: „Sie können die Arme wieder runternehmen.“
Ich werde aus der Röhre gefahren. Vorbei.
Ich muss noch zwanzig Minuten im Wartezimmer bleiben, ehe man mir den Zugang rausnimmt. Warum erst danach? Damit sie mir noch mal 'ne Ladung reinschießen können, falls ich umkippe? Oder um zu verhindern, dass ich mich vom Acker mache, ehe die obligatorischen zwanzig Minuten um sind? Keine Ahnung. Wurscht. Ich konnte gehen. Den Rest des Tages hatte ich Durchfall. Halleluja!
Und weil ich schon da war, ging ich zu meiner Lieblingsstation, um mir von meinen Onkologinnen des Todes ein Beruhigungsmittel zu besorgen, ehe mir die Zähne komplett wegschreddern. Die waren leider nicht da. Oder versteckten sich vor mir. Kann man nie wissen.
Jedenfalls wollte mir der Vertretungstodesmediziner nichts verschreiben, vertröstete mich auf nächste Woche, wenn ich meinen regulären Kontrolltermin bei den Engelchen habe. In der Zwischenzeit solle ich doch das gute alte ZOLPIDEM nehmen. Ist zwar ein Schlafmittel, könnte ja trotzdem funktionieren. Tat ich dann auch und hab letzte Nacht echt gut geschlafen, muss ich sagen. Hab ich die Nächte zuvor aber auch. Der Kiefer tut immer noch weh. Ob von dieser Nacht oder den Nächten zuvor, vermag ich nicht zu unterscheiden. Fazit: Weiter mit Schlafmitteln bis zur Abhängigkeit!
Kieferknackende Zolpigrüße
Victor Röntgen
Falls das Zähneknirschen vor allem in der Nacht beim Schlafen geschieht, gibt es beim Zahnarzt auch die Möglichkeit, sich eine Aufbissschiene anfertigen zu lassen :-)
AntwortenLöschenDanke für deine eindrückliche Schilderung. Man weiß nie, ob man's selber mal gebrauchen kann. Zu wissen was in solch einer Röhre ungefähr auf einen zukommt...
AntwortenLöschenAber du klärst nicht auf, welche klare Flüssigkeit dir zuvor eingetrichtert wurde?!