Realitätscheck
Ich bin sofort hellwach. So geht es mir seitdem Reset. Kein Matsch am Morgen. Ich sehe aus dem Fenster. Es ist noch dunkel. Im Haus gegenüber brennt in zwei Wohnungen Licht. Ich trinke Fencheltee, um die Darmflora bei Laune zu halten - so viel zum Punkrock von heute! - und schreibe den Eintrag zum Valentinstag. Vor mir auf dem Tisch in einer Vase die Schnittblumen von gestern – eine stilvolle Mischung aus violetten Rosen und anderem Gewächs, das ich nicht bestimmen kann, weil ich mich noch nie für Blumen interessiert habe. Ich kann auch keine anderen Pflanzen detailliert unterscheiden oder Pilze oder Tiere. Mich interessieren Menschen, verdammt nochmal! Ihre Emotionen und Gedanken. Die kann ich sehr wohl unterscheiden.
Dann esse ich Müsli mit Obst und nehme meine Wundertablette, die mir ein wenig Leben schenkt. Ich brühe mir einen einfachen Filterkaffee auf. Nicht fancy, nicht stark, nicht hip. Aber schwarz. Ich setze mich an den Roman und schreibe weiter. Ich bin glücklich mit dem Outcome. Zwei gute Seiten sind das geworden. Dann gehe ich laufen im Park. Das ist weniger befriedigend, weil der Bauch unangenehm im Weg ist. Ich hechele wie ein aufgedunsener Hund. Noch nie war ich in so schlechter Form. Woran liegt das? Am Krebs? Am Kortison oder am Lorviqua? Auch gehen mir die unzähligen Leute mit ihren Kindern und Schlitten auf den Zeiger. Überall ist der Schnee plattgetreten, Glatteis, und ich muss höllisch aufpassen, mich nicht auf die Schnauze zu legen. Aber dann gibt’s die unberührten Stellen weißen Schnees. In den Momenten geht mein Herz wieder auf.
Ich komme nach Hause und lasse mir ein Bad ein. Ich liege in der Wanne und lese ein paar Seiten. Das nächste langweilige Buch: Mayflies von Andrew O’Hagan, einem schottischen Autor. Es langweilt mich deswegen, weil es nur um die Prosa geht. Ich mag Bücher nicht, bei denen man sofort denkt: Wow, der kann gut schreiben, kann mit Worten und Syntax umgehen wie nur wenige. Aber dann ist die Geschichte selbst furchtbar dröge, weil die Person nichts zu erzählen hat. So geht es mir mit vielen Büchern. Leider. Kennt ihr das?
Dann koche ich mir was Einfaches. Manchmal schmeckt es gut, meistens ist es genauso öde wie das Buch, von dem ich gerade sprach. Aber das ist nicht weiter tragisch. Essen bedeutet mir nicht viel. Diesmal geht’s runter, ohne dass ich das Gesicht verziehe: Reis, etwas Tofu und Gemüse. Gesund. Wobei ich auf sowas nicht mehr zu achten brauche.
Dann schaue ich eine Partie Fußball – vorzugsweise Premier League. Die ist einfach spannender als der deutsche Langweilerfußball. Brighton & Hove Albion gegen Chelsea FC war beispielsweise ein Fußballorgasmus. Der Sport ist so ästhetisch wie Ballett. Wunderschön anzusehen. Logisch genieße ich es, wenn die großen Vereine (heute eher Unternehmen) verlieren – my heart still roots for the Underdogs!
Dann setze ich mich in die Bahn und fahre nach Charlottenburg, zum Delphi Filmpalast, dem Riesenkino am Bahnhof Zoo. Dort sehe ich im Rahmen des Berlinale-Forums den australischen Film FWENDS. Ein genialer, erfrischender Streifen, mit fast null Budget gedreht. Alles improvisiert, der Fokus liegt auf den Dialogen. Es geht um zwei Freundinnen: Eine lebt in Sydney und besucht die andere in Melbourne. Für ein Wochenende. Sie reden, erleben eine Menge. Ich habe bei jeder Szene geweint, die ich in Melbourne wiedererkannt habe. Also fast die ganze Zeit. Aber das Weinen hat gutgetan. Es hatte etwas Kathartisches. Ich bin gereinigt nach Hause gefahren und habe ausnahmsweise gut geschlafen.
Berlinalische Grüße
Victor Mancini
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