Nachtgedanken II oder was Insomnia mit meinem Gehirn macht


Ich denke, ich war in meinem früheren Leben eine wissenschaftliche Maus. Also im Tierreich, vor einigen Tausend Jahren. Im 21. Jahrhundert vor der Mausrechnung schuf ich im Labor von Knäckewood ein Lebenselixir, mit dem die gesamte Mausbevölkerung vor der Krankheit namens Qualle gerettet wurde.

Bis dahin war es üblich, dass die armen Tiere grundlos an dieser heimtückischen vermaledeiten Seuche erkrankten, manchmal innerhalb weniger Tage elendig verendeten. In einigen Bezirken sind ganze Familienzweige ausgestorben, weil sie in regelrechten Epidempien dahingerafft wurden. Bis ich ins Spiel kam und ein Serum erfand, das in Form von Käseenzymen über den Magendarmtrakt aufgenommen wurde und die Mäuse dem Erreger gegenüber immun machte.

Ich wurde in diesem Leben als großer Held gefeiert und hatte bis zum Lebensende ein Anwesen mit Bediensteten und gab so manche Festlichkeit, zu der die berühmtesten Gelehrten, Schauspieler und Künstler erschienen. In der Nacht meines Todes ging ich aus meinem Körper über in den seelischen Zustand unserer Spezies und reiste für ca. 1500 Jahre durch den Mausekosmos, ehe ich eine weitere Existenz durchlebte, in der ich als boxendes Känguruh nur zwölf Jahre aß und schiss und mich vermehrte.

Das war ein recht sinnloses Daseinsfristen, was mich beim Ableben dazu veranlasste, weitere 1000 Jahre wahllos umherzuwandern – zum einen, um mich gewissermaßen für meine Existenz als mittelloses wie kulturloses Beuteltier zu bestrafen (es musste meine Schuld gewesen sein, dass ich als niedere Kreatur wiedergeboren worden war – ich musste unwissend etwas im Leben als Wissenschaftsmaus verbrochen haben, weshalb ich im nächsten Leben dafür bestraft wurde); zum anderen, um auf andere Gedanken zu kommen, die Seele in Ruhe zur Besinnung kommen zu lassen.

Dass am Ende dieses Wesen dabei herauskommt – yours truly, brütend in nächtlichen Sessions, unfähig zu schlafen – ist absolut unvorhergesehen und unentschuldbar. Ich liege hier, kann nicht schlafen, kann nicht sterben, weil ich noch einiges zu tun habe. Aber ich lebe mit der ständigen Angst, nicht mehr aufzuwachen, und kreise im Limbus meiner Schlaflosigkeit, die weder tief noch endgültig ist.

Gestern hörte ich mal wieder von zwei völlig voneinander losgelösten Lungenkrebs-Geschichten, die beide erbaulich waren – wieso erzählen mir Menschen davon? Bei der einen wurde die Mutter der Frau eines Freundes mit Mitte 40 vom Krebs heimgesucht und verstarb keinen Monat später daran. Zack! Und das Leben war vorbei. Die Tochter war neunzehn, als sie ihre Mutter verlor und trauert dem Verlust bis heute nach.

Im zweiten Fall fiel der beste Freund eines alten englischen Bekannten der Zellenseuche zum Opfer. Diagnose, drei Wochen später tot. Ratzfatz, und er war nicht mehr. So schnell kann’s gehen. 

Im Angesicht dessen gehöre ich zum Lebensadel unter den Lungenkarzinomis. In meinem Krebswahn werde ich noch bestenfalls 1.028 Tage lang morgens erwachen, um euch mit Kunst, Philosophie und meinen Ergüssen zu beglücken. Oh weh mir! Wenn mein Geist diese Zuversicht nur an mein Gehirn weiterleiten könnte, damit ich den Schlaf eines sorglosen Kindes finden möge, dann wäre ich für eine Nacht zufrieden.

Verlebet einen köstlichen Tag – sobald die Sonne am Horizont steht. Oder tut wenigstens so.

Euer Loser-Hero-VM

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