Nachtgedanken III oder was Kortison mit mir macht

Es ist 5:26 und ich kann mal wieder nicht mehr schlafen. Ich dachte, damit wäre Schluss. Seit gestern nehme ich kein Kortison mehr. Das ist der größte medikamentöse Einschnitt seit Wochen. Kein Medikament hat meinen Körper so durcheinandergebracht wie dieses. Er spielt völlig verrückt wegen der Veränderung. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie heftig dieses Zeug langfristig ist. In beide Richtungen: wenn man anfängt, das Medikament zu nehmen und wenn man es wieder absetzt.

In die eine Richtung zuerst. Es macht dich gefräßig und schwemmt den Körper auf. Man hat überall Wassereinlagerungen, aber man nimmt auch an Gewicht zu, weil man ständig isst. Man wird fett und schwabbelig. Man bekommt ein Doppelkinn und ein midriff bulge, also Speckrollen um die Taille. Und man hat einen Blähbauch, einen vollen Darm. Man scheißt Ladungen für drei. Hat ununterbrochen Blähungen, stinkt bestialisch von innen nach außen. Fühlt sich wie eine wandelnde Schwefelanlage. Man ekelt sich vor sich selbst.

Es trocknet die Haut aus. Die Hände werden rissig, du cremst ständig nach, aber es bringt nichts. Vaseline hilft, aber dann tippe ich mit fettigen Fingern auf der Tastatur, alles wird speckig. Im Gesicht kompensiert der Körper übermäßig gegen die Trockenheit, produziert zu viel Fett – Akne-Explosion. Ich sehe aus wie ein Teenager. Mit den Haaren ist es ähnlich. Sie sind so trocken, dass sie sich selbst einfetten. Ich könnte sie zweimal am Tag mit Shampoo waschen.

Insomnia. Meine Schlaflosigkeit kommt daher, weil das Dexamethason aufputscht. Wochenlang hatte ich viel zu viel Energie für jemanden, der sterbenskrank ist. Obwohl ich schlecht schlief, war ich wach und produktiv. Eigentlich gut, könnte man denken. Aber das ist es nicht. Unnatürlich, wie ein Junkie oder ein gedopter Leistungssportler.

Die letzten drei Wochen endlich Entwöhnung. Von 8mg Dexamethason auf 4mg runter. Fünf Tage lang. Dann fünf Tage 2mg, dann 1mg, dann 0,5. Vor zwei Tagen die letzte Tablette. Und gestern zum ersten Mal müde aufgewacht, als es schon hell war. Fast schon matschig im Kopf, aber glücklich. Weil es sich normal anfühlte. Jetzt verlässt das ganze Gift meinen Körper – und der ist überfordert.

Ich habe Kopfschmerzen. Ich bin müde und kann mich kaum konzentrieren. Ich sitze ständig auf dem Klo, als müsste mein Darm wochenlangen Ballast entsorgen. Mein Gesicht ist ein Minenfeld, übersät von eitrigen Pickeln – die Pusteln platzen auf und schmerzen.

Am schlimmsten ist jedoch die Angst. Was, wenn der Tumor im Hirn wieder wächst oder das Ödem erneut anschwillt? Was bedeutet es für mich, wenn die Kopfschmerzen bleiben? Wird mein Sichtfeld wieder eingeschränkt? Habe ich wieder psychotische Episoden? Werde ich wieder zu diesem Freak, der ich im Dezember und Januar war? Der blind und panisch durch die Gegend taumelte, hilflos und abhängig – wie ein getriebenes Tier, das mit zittriger Stimme sprach?

Ich weiß es nicht. Wir werden sehen. Aber ich hoffe auf ein Leben ohne Kortison.

Peace out, everyone! Habt einen gesunden, medikamentenfreien Tag

Vic cortifree Mancini

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