Mit anderen Augen
Ich war mit einer Freundin spazieren. Im Westen der Stadt. Immer wenn ich im Westen bin, in diesem Fall in Schöneberg und Charlottenburg, fühle ich mich wohl. Ich weiß nicht, warum. Ich lebe nunmehr seit sechzehn Jahren in Berlin und alle davon in Friedrichshain. Und das finde ich schade, denn der Osten ist dröge und langweilt mich. Er ist natürlich viel weniger schnöselig, was für jemanden wie mich, der sein Leben lang immer gegen das hierarchische Klassendenken gewettert hat, der einzige Ort ist, an dem ich leben kann, ohne meine eigenen Ideale zu verraten. Dennoch kann ich nicht umhin, die Seitenstraßen von Wilmersdorf, die Gassen von Charlottenburg und die Kieze von Schöneberg als schöner zu empfinden. Sie drücken etwas aus, das älter ist als Ost und West. Die Straßen scheinen sich nicht um Politik zu kümmern. Wie eine alte Diva, die erhaben über den Belanglosigkeiten des Alltags thront. Und das hat eine beruhigende Wirkung auf meine Seele. Ich kann dabei die Botoxgesichter genauso ignorieren wie die Lamborghini vorm KaDeWe.
Wie dem auch sei, egal wo ich in dieser Stadt unterwegs bin, ich bin zuhause. Und das sage ich nun, nach all diesen Jahren, weil mir bewusst wird, dass ich eines Tages nicht mehr durch die Straßen spazieren werde. Und dieses Bewusstsein möchte ich mit euch teilen. Ihr kennt es alle von Urlauben, die ihr an Orten verbracht und liebgewonnen habt. Dann kommt der letzte Tag und euch wird klar, dass ihr dieses Dorf oder Tal, diesen Strand oder Berg womöglich nie wieder sehen werdet. Und vielleicht erfüllt euch dieser Gedanke kurzzeitig mit Trauer.
So geht es mir heute, wenn ich durch die Straßen von Berlin ziehe. Ich sehe sie mit anderen Augen.
Im nostalgischen Mood
Victor Mancini
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