Filmglücklich!
Ich unternehme Dinge. Fast so wie früher. Gestern war ich im Kino. Ein filmischer Orgasmus.
Der Psychologe ist sich mit mir einig, dass ich dies brauche, um Kontrolle über mein Leben zurückzubekommen. Mich nicht zuhause einsperren und Trübsal zu blasen, sondern zu machen. Dinge des Alltags erledigen: einkaufen, kochen, Klamotten waschen, die Wohnung putzen. Sport treiben, Rad fahren, Bücher in der Bibliothek ausleihen, lesen.
Dann gibt es die Arbeit: die eine, die meinen Lebensunterhalt finanziert hat. Die ich mein Leben lang gern gemacht habe: zu unterrichten. Früher auch Englisch und Italienisch, aber eigentlich - mit Inbrunst - nur Deutsch. Denn keine Sprache liebe ich mehr. Aber das ist jetzt vorbei. Oder zumindest für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Ich vermisse meine Schüler:innen. All die Leute von überall her, die ich in den letzten Jahrzehnten mit Deutsch versorgt habe, wie die Mutter ihr Kind mit Milch. Wer diesen Vergleich unpassend findet, hat den Sprachunterricht nicht ganz verstanden. Denn die Sprache ist die Kultur. Alles andere ist nur Schnickschnack. Und wer die Sprache nicht beherrscht, wird niemals den wahren Zugang zum Kulturverständnis des Wahllandes erhalten.
Ich habe stets mein Bestes gegeben, die Sprache so authentisch wie möglich zu vermitteln. Ich denke an all die Schüler:innen, die ihre typischen Fehler machen und hoffe insgeheim, dass sie sie beibehalten, weil sie schön sind und die Person ausmachen. (Das ist die schönste Ding, das hab ich noch nie gesehen).
Nun ist erstmal Schluss damit, weil ich alle Kraft brauche, um zu überleben. Und um nicht durchzudrehen. Das ist es. Ich mache meine andere Arbeit - das Schreiben - um nicht in Depressionen zu verfallen. Die lauern nämlich hinter jeder Ecke. Wenn ich nicht aufpasse, haben sie mich im Griff. Angeblich habe ich noch immer nicht begriffen, was wirklich passiert. Also dass ich sterbenskrank bin und es keinen Ausweg gibt, außer zu leben, solange es geht und weiterzumachen, solange der Körper es zulässt. Und während ich diese Zeilen schreibe, geht es mir schon besser.
Ich schreibe am Roman, in der Hoffnung, ihn fertig zu stellen. Aber auch in der Hoffnung, dass er GUT wird, dass er veröffentlicht und gelesen wird. Und dass er hoffentlich auch für das gemocht wird, was er ist. Ein Roman, der mir am Herzen liegt.
Gestern Abend war ich also mit einer Freundin im Kino und habe THE OUTRUN gesehen. Worum es geht, sage ich euch nicht. Aber was es in mir ausgelöst hat: Überwältigung. Ich war so positiv überrascht, nachdem ich in letzter Zeit nur Mittelmäßiges gesehen und gelesen hatte. Welch überragender Film! Ein Meisterwerk von Nora Fingscheidt, die auch schon Systemsprenger gemacht hatte. Ich gebe diesem Film mit der fantastischen Saoirse Ronan in der Hauptrolle 10 von 10 Punkten. Wenn man so wunderbar erzählen kann, dann beherrscht man sein Handwerk und hat die Filmkunst verinnerlicht.
Filmglücklich! Euer
Victor Mancineast
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