Brimborium
Ich wünschte, ich wäre gut drauf. Bin ich aber nicht. Klar, könnte man sagen: „Na logisch, der ist ja auch sterbenskrank. Wie soll der gut drauf sein?“ Aber so einfach ist das nicht. Ich hab auch gute Momente, schöne Phasen, die ich genieße. Mit Sela im Kino, Koreanisch BBQ mit Attty – das sind Erlebnisse, die bleiben. Ein Mensch kann nicht durchgehend scheiße drauf sein. Genauso wenig wie durchgehend gut.
Aber wenn man unglücklich ist, hat das meistens einen Grund. Bei mir ist es nicht nur die Krankheit, sondern das ganze organisatorische Brimborium. Ich will schreiben, kreativ sein, mich ausruhen, wenn mein Körper zickt und brummt, nölt und summt. Stattdessen: Anträge ausfüllen, mit Ämtern telefonieren, Profildaten eingeben, Dokumente hochladen. Das frisst meine Zeit, meine Kraft, meine Nerven.
Noch mehr beschäftigt mich die Qual der Wahl. Ich muss mich für meine ärztliche Betreuung entscheiden. Also ob ich weiterhin zu meinen „Onkologinnen des Todes“ gehe. Eine war letztes Mal freundlich, hilfsbereit, hat meine Fragen beantwortet. Aber grundsätzlich? Keine Zeit für mich. Und in vielen Punkten unbeholfen. Bereitet mir zusätzliche Arbeit, weil sie die Prozedere nicht kennt. Wenn ich Probleme mit Nebenwirkungen habe, soll ich nicht zu ihnen kommen. Notfälle? Notaufnahme. Heißt: stundenlang warten.
Oder ich wechsle in ein sogenanntes OVZ (Onkologisches Versorgungszentrum). Da nimmt man sich Zeit für einen. Aber dafür sitzt man da. Und sitzt. Mit anderen zu Tode geweihten im Wartezimmer. Was ich nicht ertrage. In der Klinik ist es wenigstens ruhig. Man sitzt allein. Wartet kaum. Nett sind die trotzdem nicht. Die tun nur so. Glaub ja nicht, dass du was Besonderes bist, nur weil du am Verrecken bist.
Solche Fragen beschäftigen mich heute. Keine adverbialen Bestimmungen, keine Genitivkonstruktionen. Kein Grübeln über den Übergang von Strophe zu Refrain, keine Gesangslinien im Studio. Und während ich das hier schreibe, weine ich wieder mal. Dass ich bei jedem Wort absetzen muss. Weil ich es nicht ertrage, dass das jetzt meine Realität ist. Die ich akzeptieren muss.
Ich bleibe ihnen weiterhin ausgeliefert. Den elenden Sesselpupsern, den unhöflichen Sprechstundenhilfen, den empathielosen Ärzten. Bis ans Ende.
Crying Victor
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