Auch der Tod hat eine klare Hierarchie
Mein Freund Philipp sagt, Bürokratie sei nicht mein Feind. Sie existiere, um Korruption zu verhindern. Mag sein. Aber sie entmenschlicht, wie auch die Ordnung. Bei Erpenbeck las ich: „Was berechenbar ist und starr, kann man untergraben und brechen. Nur das Chaos entgleitet und bleibt.“ Daran muss ich auch denken, wenn ich an Bürokratie denke.
Auch der Tod hat eine klare Hierarchie. In Deutschland stirbt man nicht einfach. Man stirbt mit Status. Mit oder ohne Würde, je nachdem, wie man vorher gelebt hat. So wie auch nicht jede Arbeitslosigkeit gleich ist. Da gibt es Unterschiede. Warst du angestellt, bekommst du Arbeitslosengeld. Warst du prekär beschäftigt, gibt es Bürgergeld. Warst du selbstständig, dann hast du Pech.
Und jetzt komm ich mit meinem unheilbaren Lungenkrebs. Dann stellt sich das System dieselbe Frage wie beim Jobcenter: Und wo genau gehört der jetzt hin? Ich war selbstständig, also kein Anspruch auf „Krankentagegeld“. Dafür hätte ich freiwillige Zusatzbeiträge in die Krankenkasse zahlen müssen. Hab ich aber nicht. Die sind ganz glücklich, keine Extrazahlungen leisten zu müssen. Was soll’s. Die armen Schweine müssen ja sowieso schon so viel für den verreckenden Hund blechen. Wäre ja noch schöner, wenn sie auch noch für meine Wohnung und Futter aufkommen müssten.
„Erwerbsminderungsrente“ über die Rentenversicherung? Kommt natürlich nicht in Frage, weil ich nie was eingezahlt habe. Ist logisch, ne? Eigentlich reibt man sich dort die Hände – ich Horst beiße schließlich noch vorm Rentenalter ins Gras. Keine Rente jetzt, keine Rente später.
„Krankentagegeld“ und „Erwerbsminderungsrente“? Fehlanzeige. Danach kommt das Bürgergeld, früher Harz IV. Da dachte man schon immer – Mist, ey, tiefer kann man nicht sinken. Das ist auf der gleichen Stufe wie Vollassi. Aber ich bin selbst dafür nicht qualifiziert. Um sich beim Jobcenter arbeitslos zu melden, muss man arbeitssuchend sein. Darf ich aber nicht, weil ich ja arbeitsunfähig bin. Hinzu kommt, dass ich vorher selbstständig war, was in Deutschland sowieso eine Art Unterkategorie Mensch ist. Irgendwie können sie mich dort nicht so richtig aufnehmen. Also krieg ich nicht mal Bürgergeld.
Was ist jetzt also mit mir? Ich bin unter der letzten Stufe, eine Art Systemsprenger. Nennt sich dann Grundsicherung oder so, also das, was früher Sozialhilfe hieß. Aber selbst die Sozialarbeiterin kannte sich damit nicht aus – kommt wohl zu selten vor.
Was jetzt aus mir wird, steht in den Sternen. Keine Ahnung, ob es noch irgendwas für mich gibt oder ob ich einfach verhungern muss. Aber eins weiß ich: Heute hatte ich zum ersten Mal wieder richtig starke Kopfschmerzen. Der Tumor kennt keine Bürokratie. Er wächst ungezügelt wie im Kapitalismus. Und mein Hirn ist sein gefundenes Fressen.
FUCK you very much!
Victor Bürokracini
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