Wie geht’s?

Mit dieser Frage sehe ich mich in letzter Zeit immer häufiger konfrontiert, sei es mit dem Zusatz (Ihnen), dann stammt er meist von Ärzt:innen oder sonstigem Krankenhauspersonal und bezieht sich natürlich auf meinen akuten Zustand. Zuletzt erging es mir so am Freitag, als ich zu einem Termin in der Pneumologie des Vivantes Klinikums im Friedrichshain erschien. Was die Alma Mater für den Akademiker, ist diese Station für den lungenkarzinomverseuchten Krebspatienten. Natürlich gehören auch noch weitere Abteilungen zu meinem neuen Alltag: die Onkologie und die MVZ, wo es schon bald losgehen wird mit täglichen Ladungen Strahlungen, zuerst auf meine betroffenen Hirnregionen, anschließend wird dann Jagd auf die restlichen Motherfuckers in der Lunge, in Lymphknoten etc. gemacht.

Zurück zu vorgestern: eigentlich sollte ich also erfahren und besprechen, was die Bronchialbiopsie vom 2. Januar ergeben hat (dabei wurde mir unter Narkose eine endoskopische Sonde durch den Mund bis zur Lunge geführt und eine Gewebeprobe entnommen, die dann zur Pathologie geschickt und analysiert wurde. Stattdessen lag ich mit solchen Kopfschmerzen im Wartezimmer auf den Sitzen, bis man mich auf Station brachte und mir intravenös Kortison und Schmerzmittel verabreichte. Auf die Frage des apulischen Oberarztes (welch grotesker Zufall seiner Herkunft), wie stark meine Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 seien, antwortete ich wahrheitsgemäß mit 10, woraufhin er mir Morphium geben wollte. Glücklicherweise konnte ich ihn noch davon abbringen. Nicht weil ich grundsätzlich etwas gegen Morphium habe. Aber ich bin der Meinung, dass diese Schwelle erst später überschritten werden sollte. Bin ich erstmal bei Opiaten angelangt, komme ich mir vor wie die Veteranen, die verstümmelt aus Kriegen zurückgekehrt sind – wie ihr merkt habe ich zu viele amerikanische Bücher über die Zeit gelesen (Slaughterhouse Five, Catch-22) und Filme gesehen: The Deer Hunter, Born on the Fourth of July, Full Metal Jacket, Apokalypse Now.

I’m getting sidetracked… Nein, noch kein Morphium, zu krass. Letztlich habe ich Novaminsulfon bekommen. Am Samstag wurde ich dann wieder entlassen. Thank fuck! Es war kein schöner Aufenthalt. Man gab mir erst viele Stunden später etwas zu essen, obwohl ich überzeugt bin davon, dass mein Hunger einen großen Anteil an den Kopfschmerzen hatte. Neben der Walnuss in meinem Kopf, die mir auf den (Seh)nerv geht, ist Mangel an Nahrung ein großer schmerzproduzierender Faktor. Ich esse gefühlt ständig und werde immer fetter, aber es reicht nicht, um die Kopfschmerzen fernzuhalten. Und im Krankenhaus ließ man mich warten, stundenlang, bis ich das Schmerzmittel bekam, dann zwei Stullen mit ekliger Wurst und Scheibenkäse. Mein alter Zimmernachbar gab mir netterweise die Hälfte seines Essens ab, als er mich meine Portion gierig verschlingen sah. Danke, Hr. Herse, you were a lifesaver! Viel Glück im Kampf gegen ihren ganz eigenen Killer im Körper!

Zurück zur Ausgangsfrage von heute: wie geht’s? Ich weiß nicht mehr, wie ich auf diese Frage antworten soll. Über meinen physischen Zustand habe ich keine Lust mehr zu sprechen, wenn Freunde und Familie mir diese Frage stellen. Unter allen Momentaufnahmen liegt immer die gleichbleibende Antwort: I’m dying of fucking cancer, what do you want me to say?!

Also habe ich beschlossen euch von den schönen Augenblicken zu erzählen, die mich in letzter Zeit kurzzeitig glücklich gemacht haben. Seitdem ich wieder in Berlin bin, habe ich bei meinen Freunden übernachten dürfen: Sie kümmern sich rührend um mich. Dima und Dasha haben mich lecker bekocht und von Terminen abgeholt, ihr Kater Venja hat mich morgens liebevoll abgeschleckt und sich wärmend auf meinen Kopf gelegt. Wonni und Marco sind nur für mich aus dem Piemont angereist, um mit mir Silvester zu verbringen und für mich da zu sein. Bei Albe schlief ich zum ersten Mal wieder durch, und das ohne Bauchkrämpfe, die ich vom emotionalen Stress zusätzlich habe. Wir aßen unfassbar gute Amatriciana, die Marco zubereitet hatte. Albe hat mir medizinisches Gras in Butter aufgelöst und im Kakao verabreicht, woraufhin ich für ein paar Stunden wieder sehen konnte. Es hatte einen lindernden Effekt als all das Kortison. Ich konnte sogar einen Film mit ihm sehen und habe auch ein paar Seiten an meinem Roman weiterschreiben. Ich musste weinen vor Glück, weil es mir kurzzeitig Hoffnung gab, dass ich damit vielleicht den Roman doch noch schaffe.

Eddie hat mich tagelang bei sich aufgenommen, obwohl er einen wichtigen Auftrag abschließen muss. Er hat mir morgens Obst in mein Müsli geschnitten, für mich eingekauft und abends gekocht. Mit Sela war ich Koreanisch essen (Kimchi Pancakes und So Bulgogi), sodass ich für einen Abend so tun konnte, als wäre alles wie früher.

Im Anschluss las sie mir ein paar Seiten aus Robert Seethalers Ein ganzes Leben vor. Wie schön schreibt dieser Mann! True poetry in Prosaform. Hier ein Beispiel: „Niemand riss sich um diese Aufgabe, es hatte sich herumgesprochen, dass in den Jahren zuvor, zwei Männer, beide erfahrene Kletterer, abgestürzt und zu Tode gekommen waren, sei es aus Unachtsamkeit oder wegen eines Materialfehlers oder einfach nur wegen des Windes, der die Stahlseile manchmal meterweit nach beiden Seiten schwingen ließ. Aber Egger hatte keine Angst. Er wusste, sein Leben hing an einer dünnen Schnur, doch sobal er einen Träger erklommen, den Rollmechanismus angebrach und die Sicherheitskarabiner eingehakt hatte, fühlte er, wie es in ihm ruhig wurde und wie sich die wirren und verzweifelten Gedanken, die sein Herz wie eine schwarze Wolke umhüllten, in der Bergluft nach und nach auflösten, bis nichts mehr übrig blieb als reine Traurigkeit.“ (90-91)





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