Nachtgedanken

 

Ich liege mal wieder im Bett und kann nicht schlafen. Passiert mir öfter in letzter Zeit. Bei all den Medikamenten haben die Ärztinnen versäumt, mir ordentliche Schlafmittel zu geben. Und Melatonin ist in meinem Fall so effizient wie ein Staubsauger bei Fußpilz.

Mein Hirn rattert ununterbrochen. Das liegt unter anderem daran, dass sich der Tumor gerade mit allen Kräften gegen das Monstermedikament wehrt. Ist also eigentlich ein gutes Zeichen. Kein Fachwissen, nur ein Gefühl. Das spüre ich.

Also denke ich nach. Und wie das so ist mit Gedanken, aber noch viel mehr mit Gefühlen – die sind nicht immer fair.

Beispiele:
Ich habe Freunde, die lesen meinen Blog nicht. Zieht sie zu sehr runter. Können sie nicht mit umgehen. Dieses ständige Gelaber vom Tod. Kann ich verstehen. Es trifft mich trotzdem. Vielleicht später mal, sagen sie. (Wann? Wenn ich nicht mehr bin?) Sie gehen lieber ins Fitnessstudio. Coping mechanism, würde mein Therapeut Dalibor sagen. Würde ich auch lieber machen. Sport treiben, meine ich. Am Samstag war ich zum ersten Mal wieder laufen. Spricht medizinisch nichts dagegen, sagen meine Onkologinnen des Todes. Soll's nur langsam angehen, allmählich steigern. Hat mich kurzzeitig sogar wie früher glücklich gemacht, als die Endorphine mich berauschten. Aber diese ständige Angst vor epileptischen Anfällen ist wie eine halb aufgeblasene Luftmatratze.

Ich habe Freunde, die haben noch nie wirklich was von mir gelesen. Oder kommen nicht über Seite 35 in meinem Roman hinaus. Und unveröffentlichte Kurzgeschichten, die ich ihnen mal geliehen habe, kamen auch ungelesen zurück. Spricht nicht besonders für meine Literatur, ich weiß. Macht mich trotzdem traurig. Das bleibt hängen.

Ich habe eine Kollegin, der es wichtiger erschien, mich darauf hinzuweisen, wie viele Tippfehler sie in meinem Buch gefunden hat, als sich über Charakterentwicklung oder so zu unterhalten.

Ich habe Freunde, die mir allesamt Hilfe angeboten haben. Aber ich wüsste nicht, wie die konkret aussehen könnte. Vielleicht ist gelegentlich mal hier für mich kochen oder zum Supermarkt begleiten schon okay. Denn diese Enge und das Überangebot an Produkten ist mir manchmal einfach zu viel. Aber mir einfach alles zu bestellen und liefern zu lassen, will ich auch nicht. Ich muss ja auch mal raus und mich bewegen.
Ich mag es lieber, wenn jemand mit mir in der Tram mitfährt, statt mir ein Taxi zu bestellen, falls ihr versteht, was ich meine. So von wegen partielle Teilhabe an der Gesellschaft. Sonst drehe ich hier noch durch.

Heute hatte ich wieder mal Panik in meiner Küche. Ich habe Angst davor, mich zu schneiden oder zu verbrennen. Das Arschloch von Untermieter hat fast alle meine Töpfe und Pfannen versaut. Eine war so verbrannt, dass ich die Brandrückstände nach zwei Tagen Einweichen mit einer Beißzange entfernen musste. Vielleicht muss ich einfach in den sauren Apfel beißen und neue kaufen. So vieles fühlt sich plötzlich fremd an. Und ich frage mich natürlich sofort, ob sich alles nur in meinem Kopf abspielt, weil Psychosen eine der Nebenwirkungen sein können.

Genauso wie Tinnitus. Tagsüber gibt es ein fiependes Geräusch, das vom Hinterhof durchs offene Fenster zu mir gelangt. Aber zum Glück hat Liz am Sonntag bestätigt, dass es tatsächlich da ist. Dass ich es so laut höre, ist allerdings eher auf die Schärfung meiner anderen Sinne zurückführen, seitdem meine Augen abkacken. Wird aber auch langsam besser. Kann sogar wieder Fußball gucken und mehr lesen. Und weil das eine fantastische Nachricht ist, beende ich den Eintrag auf dieser positiven Note.

Gute Nacht oder guten Morgen für alle Frühaufsteher, wo auch immer ihr gerade seid!

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