„Indirekt sind die Wirkungen, nicht direkt“


Victor Mancini, dick und fast glücklich


Gestern hatte ich meinen ersten guten Tag seit RESET. So nenne ich den Tag vor exakt 37 Tagen, als ich erfuhr, dass ich unheilbar krank bin. Gut war der gestrige Tag, weil ich durch das Medikament, dass ich wiederum seit Samstag nehme, allmählich wieder Kontrolle über mein Leben erlange. Das Lorviqua ist potent, ein so mächtiges Mittel, in der Lage den Tumor im Hirn, das daneben liegende Ödem, die Metastasen und auch den Krebs in der Lunge gleichzeitig zu bekämpfen, wenn ich die Aussagen der Ärztinnen richtig verstanden habe. Und es tut seinen Job verdammt gut. Ich sehe wieder viel mehr, mein linkes Sichtfeld kommt zurück. Ich habe viel weniger Kopfschmerzen – ich bin runter von fünf auf ein bis zwei Schmerztabletten pro Tag. Ich konnte mir der U5 fahren, die voller Menschen war, und eine Pfanne im Kaufland kaufen, ohne Panik zu verspüren. Auch bin ich anschließend die ganze Strecke problemlos zurückgelaufen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Menschen mich ständig beobachten und ich war nicht bei jeder abrupten Bewegung im Straßenverkehr so schreckhaft wie zuletzt.

Am Abend aß ich mit meinem Freund Dima leckeres Salmon-Olive-Stew (Danke Dasha!) und gemeinsam sahen wir ein Fußballspiel. Dabei habe ich häufiger gelacht als in gefühlt vielen Tagen zusammen. Mit anderen Worten – ich habe mich für eine Weile so gefühlt wie früher, wenn es mir gelang, kurzzeitig zu vergessen, wie mein Leben mittlerweile abläuft.

Natürlich ist das ein gefährliches Gefühl, weil man sich dabei ertappt zu hoffen, es könnte immer so weiter gehen, auch wenn klar ist, dass alles nur temporär ist. Und man darf die Nebenwirkungen nicht vergessen, die bisher noch nicht besonders drastisch waren. Ich habe Hypertonie (erhöhten Blutdruck), viel an Gewicht zugenommen und mein Blähbauch fühlt sich an, als trüge ich einen Medizinball mit mir herum. Aber verschont geblieben ist mir bisher:

Hypercholesterinämie

Hypertriglyzeridämie

Pankreatitis

Kognitive Auswirkungen

Wahrnehmung, psychische Effekte

Pneumonitis

Herzrhythmusstörungen

Hyperglykämie (erhöhter Blutzuckerspiegel)

Wie ihr seht, das volle Programm an Scheiße, die auf einen zukommen kann. Und wird.

Nichtsdestotrotz war’s schön gestern. Ich habe ein wenig geschrieben und sogar gelesen, dabei die meisten Zeilen genossen, auch wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin, was ich von der Autorin halten soll. Es handelt sich um das Buch Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck, die zurzeit in aller Munde ist. Hinterlasst mir gerne einen Kommentar (ohne zu spoilern, bitte!), was ihr von ihr bzw. dem Roman haltet.

Mit einem für mich interessanten Zitat aus dem Werk möchte ich den Eintrag für heute beenden: „Auch hier war dem Verbot also nichts weiter gelungen, als das Verbotene in ein besonders Begehrtes zu verwandeln. Indirekt sind die Wirkungen, nicht direkt, denkt er…“ (34)

Peace out, my friends, und genießt, was auch immer ihr gerade macht!

Kommentare

  1. Hallo du, dein Zitat passt sehr gut. Ich habe auch indirekt mitbekommen, was mit dir gerade passiert... Yvonne hat mir den Link zu deinem Blog gegeben.
    Nachdem ich dich gelesen habe, denke ich, dass ich den Zweck verstehe, für den du hier schreibst, also erspare ich dir die übliche konventionelle Präambel.
    Eines muss ich dir aber erzählen: das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, waren wir bei dir zum großartigen Tama Impala-Konzert (bitte hier nicht emotional werden) und du hast damals von Herrendorf erzählt.
    Was ich danach natürlich gelesen habe, alles, leider zu wenig veröffentlicht, und oft im Bett unter der Bettdecke weinend (Arbeit und Struktur)
    Ich hatte keine Gelegenheit mehr, dir dafür zu danken, mit Yvonne waren wir schon am Ende und nach diesem Event ging auch der Faden verloren, der uns verband. Also.. insofern, schön dich wieder zu treffen... und nochmals danke für den Tipp!

    Apropos, ich finde es toll, dass du deine Gedanken teilst, wirklich und ganz ernsthaft, aber hast du an einen Plan B schon gedacht, ich meine, falls du nicht stirbst, was machst du dann mit diesem verdammten Blog?

    P.S
    Wie viele Bücher hast du bis jetzt geschrieben? 1o 2
    Kannst du auch direkt auf Kommentare antworten?
    Bis bald, hoffe ich, und eine feste Umarmung aus Darmstadt
    Diego

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  2. Danke Diego für die schönen Erinnerungen. Tame Impala und Wolfgang Herrndorf!
    Es gibt bisher einen Roman (Bloß weg) und eine weitere veröffentlichte Kurzgeschichte (Schneedeck), die ich gemeinsam mit einer befreundeten Autorin - Johanna Sailer - verfasst habe. Was Plan B anbelangt, finde ich die Frage ein wenig makaber, auch wenn du sie sicherlich nicht so meinst. Ich werde darauf später in einem separaten Blogeintrag reagieren. G.

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